„Plötzlich war ich die Mutter meiner eigenen Mutter“

Oft braucht es lange, bis sich von Inkontinenz Betroffene ihren Angehörigen anvertrauen – bei Annika und ihrer Mutter dauerte es ein ganzes Jahr. Dann öffnete sich die Mutter der Tochter gegenüber und sie gingen die Harninkontinenz der Mutter gemeinsam an. Mit Erfolg. Die Geschichte von Annika und ihrer Mutter zeigt eine traurige Tatsache: Immer noch ist das Thema Inkontinenz ein heikles. Betroffene Personen geraten leicht in den Verdacht, in ihrer geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt zu sein. Gerade für Angehörige ist es eine große Herausforderung, den richtigen Umgang mit dem schambehafteten Thema und den geliebten Menschen zu finden.

„Meine Mutter zog sich immer mehr zurück. Sie fühlte sich häufig sehr müde, was sie daran hinderte, Einladungen anzunehmen oder mit mir etwas zu unternehmen“, erinnert sich Annika. Sie hatte schon länger das Gefühl, dass mit ihrer Mutter „irgendetwas nicht stimmte“ und sie sich sozial immer mehr isolierte. Annika führte diese Veränderung darauf zurück, dass ihre Mutter „nicht mehr die Jüngste“ ist. Fing so ihr Altern an?, fragte sie sich. Dabei war ihre Mutter zu dem Zeitpunkt eine Frau von gerade mal siebzig Jahren.

Ein erster Hinweis auf die wahre Ursache wäre vielleicht der unangenehme Geruch von Urin gewesen, den Annika seit einiger Zeit bemerkte. Doch wie sollte sie ihrer Mutter sagen, dass sie „komisch riecht“? Schließlich handelte es sich immer noch um ihre Mutter, die sie liebte und die auch im Erwachsenenalter noch immer eine Respektsperson für sie war. Daher schwieg sie und akzeptierte die „Ausreden“ ihrer doch so veränderten, aber immer noch genauso geliebten Mutter.

Es kann lange dauern, bis sich Betroffene öffnen

Mindestens ein Jahr ging das so. Dann vertraute sich die Mutter der Tochter endlich an: Ob man denn nicht vielleicht doch etwas dagegen tun könne, sie habe seit längerer Zeit eine schwache Blase und es werde immer schlimmer, sodass sie sich kaum noch aus dem Haus traue. Wegen der Nässe und weil man das bestimmt rieche, erinnert sich Annika. „Ich war sehr betroffen. Dass es Inkontinenz sein könnte, darauf war ich nicht gekommen.“

Der richtige Umgang mit falscher Scham

Wissenschaftliche Studien zeigen: In der Altersgruppe der über Achtzigjährigen, die in ihren eigenen vier Wänden leben, sind rund ein Drittel von einer Harninkontinenz betroffen. Im höheren Alter sind Mann und Frau von einer Dranginkontinenz fast gleichermaßen betroffen. Aus einem Schamgefühl heraus wird das Problem des ungewollten Urinverlusts aber möglichst lange verschwiegen, oft selbst dem vertrauten Hausarzt gegenüber. Bei älteren Menschen ist die Folge häufig ein sozialer Rückzug mit Isolation und den verschiedensten Beziehungsstörungen, vor allem mit den nächsten Angehörigen.

Bei pflegenden Töchtern oder Schwiegertöchtern kommt noch eine eigentümliche Reaktion hinzu, die wohl mit der empfundenen Umkehrung des Eltern-Kind-Verhältnisses zusammenhängt. Die Schweigemauer, die inkontinente Menschen um sich errichten, schließt auch die pflegenden Angehörigen mit ein. Annikas Mutter durchbrach diese zum Glück rechtzeitig. Nachdem sie sich ihrer Tochter anvertraut hatte, suchten beide gemeinsam die Hausärztin und einen Gynäkologen auf.

Anatomisch war bei ihrer Mutter zum Glück alles so weit in Ordnung, es handelte sich nicht um die klassische Absenkung der Gebärmutter, die auf die Blase drückt. In vielen Fällen ist dies bei älteren Frauen, die entbunden haben, der Grund für eine Blasenschwäche und kann relativ unkompliziert operativ behoben werden. Aber Annikas Mutter bekam aufgrund ihres hohen Blutdrucks schon lange Medikamente. Und die verschriebenen Betablocker können den Harndrang erheblich steigern. Außerdem war Annikas Mutter sportlich nie sehr aktiv gewesen und daher auch ihr Beckenboden schlecht trainiert.

Ihr Gynäkologe riet dazu, ein Miktionstagebuch zu führen, um den Grad der Inkontinenz festzustellen. Außerdem beriet er Mutter und Tochter bei der Wahl der richtigen Vorlagen und Produkte. Der „unangenehme Geruch“ konnte so in Verbindung mit der richtigen Hygiene schnell beseitigt werden. Im nahe gelegenen Krankenhaus besuchten sie zudem gemeinsam eine Beckenboden-Sprechstunde. Hier lernte Annikas Mutter einfache, ihrem Alter und ihrer Beweglichkeit angepasste Übungen, um die bislang vernachlässigte Muskulatur zu stärken.

Neue Routinen und offene Gespräche

Aber das Wichtigste war der offene Umgang mit dem Thema. „Heute gehört ihre Inkontinenz zum Alltag dazu“, erzählt Annika. „Wenn ich zu Besuch komme, kontrolliere ich erst mal, ob das Bett nass ist. Ich wechsle Matratzenunterlage und Bettwäsche und klebe eine neue Schutzfolie auf. Das Wechseln ihrer Höschen schafft meine Mutter noch gut allein“, erzählt Annika über die neuen Routinen.

Für das Entsorgen der Vorlagen besorgte sie einen vakuumdichten „Windeleimer“, wie ihn auch Eltern für die Windeln ihrer Kinder verwenden. Damit roch es auch im Badezimmer nicht mehr unangenehm und ihre Mutter musste nicht mehrmals täglich den beschwerlichen Weg zur Mülltonne vor dem Haus zurücklegen. „Außerdem wurde ihre Medikation vom Hausarzt angepasst. Auch das hatte positive Effekte“, berichtet Annika weiter.

„Die Inkontinenz meiner Mutter konnte zwar nicht völlig behoben werden, aber wir haben beide gelernt, offen sowie vertrauens- und respektvoll damit umzugehen“, sagt sie. Unterstützt von Ärzten, mit der maßgeschneiderten Therapie, den richtigen Inkontinenzhilfsmitteln, gezieltem Beckenbodentraining und neuen Routinen – ganz selbstverständlich und offen, ohne falsche Scham und ohne Druck.




Frequently asked questions
Inkontinenz – was hilft wirklich?



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