Wissenschaftliche Studien zeigen: In der Altersgruppe der über Achtzigjährigen, die in ihren eigenen vier Wänden leben, sind rund ein Drittel von einer Harninkontinenz betroffen. Im höheren Alter sind Mann und Frau von einer Dranginkontinenz fast gleichermaßen betroffen. Aus einem Schamgefühl heraus wird das Problem des ungewollten Urinverlusts aber möglichst lange verschwiegen, oft selbst dem vertrauten Hausarzt gegenüber. Bei älteren Menschen ist die Folge häufig ein sozialer Rückzug mit Isolation und den verschiedensten Beziehungsstörungen, vor allem mit den nächsten Angehörigen.
Bei pflegenden Töchtern oder Schwiegertöchtern kommt noch eine eigentümliche Reaktion hinzu, die wohl mit der empfundenen Umkehrung des Eltern-Kind-Verhältnisses zusammenhängt. Die Schweigemauer, die inkontinente Menschen um sich errichten, schließt auch die pflegenden Angehörigen mit ein. Annikas Mutter durchbrach diese zum Glück rechtzeitig. Nachdem sie sich ihrer Tochter anvertraut hatte, suchten beide gemeinsam die Hausärztin und einen Gynäkologen auf.
Anatomisch war bei ihrer Mutter zum Glück alles so weit in Ordnung, es handelte sich nicht um die klassische Absenkung der Gebärmutter, die auf die Blase drückt. In vielen Fällen ist dies bei älteren Frauen, die entbunden haben, der Grund für eine Blasenschwäche und kann relativ unkompliziert operativ behoben werden. Aber Annikas Mutter bekam aufgrund ihres hohen Blutdrucks schon lange Medikamente. Und die verschriebenen Betablocker können den Harndrang erheblich steigern. Außerdem war Annikas Mutter sportlich nie sehr aktiv gewesen und daher auch ihr Beckenboden schlecht trainiert.
Ihr Gynäkologe riet dazu, ein Miktionstagebuch zu führen, um den Grad der Inkontinenz festzustellen. Außerdem beriet er Mutter und Tochter bei der Wahl der richtigen Vorlagen und Produkte. Der „unangenehme Geruch“ konnte so in Verbindung mit der richtigen Hygiene schnell beseitigt werden. Im nahe gelegenen Krankenhaus besuchten sie zudem gemeinsam eine Beckenboden-Sprechstunde. Hier lernte Annikas Mutter einfache, ihrem Alter und ihrer Beweglichkeit angepasste Übungen, um die bislang vernachlässigte Muskulatur zu stärken.