Seit einem Surfunfall mit 19 Jahren ist Moritz Brückner querschnittsgelähmt. Inzwischen gründet er Startups, hält Vorträge und spielt Rugby. Unsere Seni-Expertin Danijela Döring hat mit ihm über das Leben im Rollstuhl geredet und erfahren, warum es eine richtig gute Idee ist, wenn wir offen mit Behinderungen umgehen.
Interview
Ich sitze im Rollstuhl – Na und?
Unsere Expertin Danijela Döring im Gespräch mit Moritz Brückner
Hi Moritz, ich freu mich so, dass wir heute miteinander reden können. Denn ich bin einfach überwältigt davon, wie Du das Leben anpackst. Ich hoffe, dass ist jetzt nicht zu direkt, aber magst Du uns erzählen, was bei Deinem Unfall passiert ist?
Nein, das passt schon. Darum sind wir ja hier. Ich war 19, ich wollte die Welt sehen und war mit einer Reisegruppe surfen in Chile. Und dann bin ich vom Board gestürzt. Ich wollte gleich weiterschwimmen, aber hab gemerkt, das klappt nicht mehr. Ich war kurz vorm Ertrinken und dann kam ein Kumpel und hat mich aufs Brett rauf, raus aus dem Wasser und ich bin ab ins Krankenhaus. Und dann ins nächste Krankenhaus und ins nächste und dann nach Deutschland und dann in die Reha und erst nach 7 Monaten war ich wieder zu Hause.
Und gab es so einen Moment, wo Du wusstest, ab jetzt ist alles anders?
Also am Anfang war ich voll mit Adrenalin und alles war chaotisch. Im Krankenwagen wurde ich gefragt, ob ich Schmerzen habe und ich dachte, die reden von meinem Sonnenbrand. Meine Freunde haben versucht, die Fragen der Ärzte zu dolmetschen. Und ich habe null verstanden, was los ist. Ich wusste nur, irgendwas stimmt nicht. Und dann stand der Arzt an meinem Bett und hat etwas verdruckst gesagt, dass ich mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit nie wieder laufen werde. Da habe ich richtig gemerkt, ab jetzt ist Dein Leben anders als bisher.
„Aber es ist einfach nur eine andere Art zu leben.
Das ist alles.”
Dein Leben war plötzlich auf dem Kopf gestellt. Aber jetzt seh ich Dich vor mir und da ist so viel positive Energie. Willst Du erzählen, wie Du nach Deinem Unfall wieder in den Alltag gestartet bist?
Ich möchte gleich sagen, dass es natürlich Scheißtage gibt! Und für mich war es krass, plötzlich im Rollstuhl zu sitzen. Aber am Ende ist es egal, wie viel Du fluchst, das ändert nichts. Und ich habe mich dazu entschlossen, jetzt fange ich mein neues Leben an. Und in dieses Leben musste ich reinwachsen. Ich musste lernen, wie ernähre ich mich, wie bewege ich mich, wie funktioniert mein Körper jetzt. Plötzlich war Inkontinenz Teil von meinem Alltag. Das ist ein Prozess. Und ja, es hat gedauert, bis ich sagen konnte: Ich habe eine Behinderung. Davor habe ich mich lange Zeit gesträubt. Als müsste ich mich dafür schämen. Aber es ist einfach nur eine andere Art zu leben. Das ist alles.
Du hast davon gesprochen, dass Du Deinen Körper neu kennenlernen musstest. Und ich merke, eine Behinderung ist nicht einfach nur ein Ding, sondern es sind ganz viele Sachen, die gleichzeitig passieren. Dazu gehört dann plötzlich auch ein Thema wie Inkontinenz. Stimmt dieser Eindruck?
Auf jeden Fall. Inkontinenz ist dafür ein gutes Beispiel. Ich bin querschnittsgelähmt. Ich sitze im Rollstuhl und das bedeutet auch, dass mein Schließmuskel nicht mehr funktioniert. Und klar ist das kein schönes Thema, über das ich unbedingt reden will. Ganz im Gegenteil. Es ist ein Kackthema, aber genau deshalb muss ich mich damit auseinandersetzen. Wie bereite ich mich auf einen Kinobesuch vor, welche Einlagen sind für mich die besten. Wie verhalte ich mich, wenn es in die Hose gegangen ist. Bin ich dann panisch oder bin ich cool. Ich kann mich ja entscheiden, wie ich damit umgehe. Und ich kann Freunde fragen, die mir helfen können und ich kann einsehen, dass es halb so schlimm ist.
„Ich kann nicht mehr der Moritz von früher sein.
Also setze ich neue Standards. Das braucht Mut,
aber es lohnt sich.”
Das finde ich eine super Einstellung. Inkontinenz ist einfach etwas, das Dir passieren kann. Und es hilft ungemein, mit anderen Leuten darüber zu reden und sich auszutauschen. Das merke ich auch bei uns in der Kundenberatung. Wie viel es hilft, über das Thema zu reden. Da steckt so viel Scham drin und wir können so viel helfen, wenn wir ehrlich sind. Vielen Leuten ist z. B. auch gar nicht klar, wie stark Inkontinenz auch mit Sexualität zu tun hat.
Stimmt. Sexualität und Inkontinenz sind solche Tabuthemen. Weil ich ja auch beim Sex mit meinem Körper neu anfangen musste. Alles fühlt sich anders an. Also, um das mal klar zu sagen: Ich kann immer noch Sex haben, aber es ist halt was anderes. Ich kann nie wieder einen Orgasmus spüren. Das nervt mich schon. Aber trotzdem kann ich jemanden näherkommen. Du musst auch hier offen sein, und reden und ausprobieren. Ich kann nicht mehr der Moritz von früher sein. Also setze ich neue Standards. Das braucht Mut, aber es lohnt sich. Und wenn wir alle offen darüber reden, helfen wir uns damit gegenseitig. Es gibt so viel, was wir voneinander lernen können, also machen wir das doch!
„[…] Das gehört auch zur gefühlten Inklusion,
je mehr Menschen davon wissen,
desto mehr Menschen sind cool damit.”
Ich stelle auch oft fest, wie viele Frauen nach der Schwangerschaft keinen Sex haben und dann darüber schweigen. Wir sollten uns nicht einfach damit abfinden, sondern etwas tun, mehr darüber reden.
Stimmt, je mehr wir aus einem Thema ein Geheimnis machen, desto unangenehmer wird es für uns selbst. Wenn ich verschweige, dass bei mir mal was in die Hose gehen kann, desto schlimmer ist es natürlich, wenn etwas passiert.
Und das gehört auch zur gefühlten Inklusion*, je mehr Menschen davon wissen, desto mehr Menschen sind cool damit.
Dann ist die Reaktion halt: Kein Ding, da ist das Klo und nicht: Oh Gott, was ist los, müssen wir einen Krankenwagen rufen.
Also Leute, geht damit offen um. Wir alle können mal inkontinent sein- Bums fertig.
Ja, unsere Gesellschaft setzt zu stark darauf, dass wir alle immer funktionieren müssen und es ist ein Riesenproblem, wenn da mal nicht alles so klappt, wie wir das wollen. Wir müssen mehr akzeptieren, dass Inkontinenz für viele Menschen einfach dazugehört und es bricht mir das Herz, wenn Leute dann sagen: Ich geh deswegen nicht mehr auf die Straße, ich gehe nicht mehr einkaufen.
Und das ist auf keinen Fall die Lösung. Und mich inspiriert, wie Du damit umgehst und wie Du mit den Leuten darüber redest.
Genau deshalb halte ich Vorträge über das Thema Querschnittslähmung. Einfach um den Leuten zu zeigen, wer ich bin, wie ich drauf bin, wie ich medizinisch ticke. Weil ich weiß noch, wie ich selbst keine Ahnung über das Leben mit einer Behinderung hatte. Ich möchte auch über den Struggle reden und genauso zeigen, was alles möglich ist. Welche Sportarten es gibt, wie die Gesetzeslage ist und auch wie die Gesellschaft auf mich reagiert. Ich bin halt im Rollstuhl – na und?!
Das klingt sehr spannend. Weil ich ja auch weiß, wie wichtig dieser Austausch ist. Ich finde es so toll, Du machst mir so viel Mut.
Genau das ist es. Wir machen uns gegenseitig Mut.
Mehr Infos zu Moritz Brückner findest du hier: www.moritzbrueckner.de