Seit er denken kann, ist Sam Metzger inkontinent! Dafür hat er sich so lange geschämt, bis er erkannt hat: Ich bin okay, so wie ich bin. Jetzt verrät er unserer Seni-Expertin Danijela Döring seine besten Tipps und Tricks und erzählt, warum es sich immer lohnt, offen über Inkontinenz zu reden.
Interview
Ich hab genug von Tabus
Lieber Sam, ich freu mich so, dass wir heute miteinander sprechen können. Magst Du mal kurz sagen, wer Du bist?
Kein Problem! Hallo, ich bin Sam. Ich bin 23 Jahre alt und komme aus dem Emsland. Ich bin heute hier, weil ich mein ganzes Leben lang schon eine Inkontinenz habe und ich es wichtig finde, darüber zu reden.
Und ich freu mich auch, dass Du da bist. Denn Du bist ein tolles Vorbild, weil Du so offen über Deine Inkontinenz redest. Die hast Du ja schon seitdem Du ein Kind warst. Willst Du erzählen, wie das früher für Dich gewesen ist?
Es war krass. Ich durfte nicht mehr in den Kindergarten, weil das für die Erzieher zu umständlich war. Und in der Schule hatte ich immer einen Rucksack mit Wechselklamotten dabei. Trotzdem durfte ich später auch nicht mit auf Klassenfahrt, weil die Lehrer diese Verantwortung nicht haben wollten. Ich hab schnell gemerkt, dass andere denken, mit mir stimmt was nicht.
Das tut mir wirklich leid, dass die Leute nicht besser auf Dich reagiert haben. Wie sind denn Deine Eltern damit umgegangen?
Das war nicht einfach. Natürlich haben sich meine Eltern Sorgen um mich gemacht. Ich habe auch Einlagen bekommen und wir waren natürlich bei verschiedenen Ärzten. Aber die haben uns nicht wirklich ernst genommen und deshalb habe ich auch keine professionelle Hilfe bekommen. Uns wurde gesagt, dass sich das Problem irgendwie von selber lösen wird. Was natürlich nicht passiert ist. Und wie es mir geht und wie ich mich fühle, darüber konnte ich mit niemand wirklich reden. Ich hatte immer das Gefühl, dass ich damit allein klarkommen muss und das hat mich damals schon sehr stark belastet.
Das wirklich ungewöhnliche an Deiner Situation ist ja, dass Du gar keine richtige Diagnose hast. Und das obwohl Du seit Deiner Kindheit inkontinent bist. Wie gehst Du damit um?
Wir waren bei so vielen Ärzten und wir haben unendlich viele Tests gemacht. Aber es wurde keine Diagnose gefunden. Und das ist natürlich extrem frustrierend. Etwas stimmt nicht mit mir und keiner kann mir sagen, was es ist und was ich dagegen unternehmen kann. Und das hat auch noch viel mehr Konsequenzen, weil meine Krankenkasse bis heute auch die Kosten nicht übernimmt. Ich muss die Einlagen also selbst bezahlen. Aber ich gebe meine Suche nicht auf. Bald habe ich einen Termin bei einem weiteren Spezialisten, ich hoffe, dass ich dadurch etwas Neues lerne.
Dafür wünsche ich Dir viel Glück. Und ich merke ja, wie offen Du mit dem Thema umgehst. Wann kam denn der Moment, wo Du gesagt hast, ich möchte das nicht mehr mit mir alleine vereinbaren. Jetzt will ich das teilen?
Das hat mit 17 angefangen. Damals habe ich eine Traumatherapie gemacht und bei der habe ich gelernt, dass ich okay bin, so wie ich bin. Es war wichtig für mich zu merken, dass es egal ist, wie ich aussehe, was meine Lebenseinstellung ist oder ob ich inkontinent bin. Ich bin trotzdem toll und mein Leben ist wichtig. Das hat mir sehr viel bedeutet und hat dann auch dazu geführt, dass ich auf Instagram darüber erzählt habe, wie es mir im Alltag mit meiner Inkontinenz geht.
Ich kann mir so gut vorstellen, wie viel Mut das gekostet hat. Wie waren denn die Reaktionen, die Du bekommen hast?
Ich hab das schon als Befreiungsschlag empfunden. Also geht’s mir gut damit! Und ich hab auch schnell gemerkt, dass es viele andere Leute in meinem Alter gibt, denen es geht wie mir. Die haben mich angeschrieben und wir haben uns ausgetauscht. Klar gibt’s auch Arschlöcher, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass die positive Resonanz siegt. Ich habe genug von Tabus. Wenn ich darüber reden will, wie es mir mit meiner Inkontinenz geht, dann rede ich darüber. Und wenn jemand damit ein Problem hat, ist das nicht mein Problem.
Diese Stärke bewundere ich. Würdest Du denn sagen, dass es durch dieses Teilen einfacher geworden ist?
Es ist immer besser, sich mit anderen auszutauschen. Du merkst, dass Du nicht allein bist und Du kriegst auch viel schneller Hilfe, wenn Du sie suchst. Und ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Du die besten Tipps von Leuten bekommst, die selber Inkontinent sind. Denn wir wissen ja, was Dir im Alltag wirklich helfen kann.
Jetzt bin ich aber gespannt, was für Tipps hast Du denn, die Dir auf jeden Fall geholfen haben?
Ich habe immer ein paar Wechselklamotten dabei, falls mal was schiefgeht. Außerdem benutze ich am Tag Panties. Die nehme ich immer eine Größe kleiner, weil ich finde, dass die dann besser sitzen. Und genau das ist auch mein Tipp: Probier aus, welches Produkt wie am besten für Dich funktioniert. Experimentieren ist superhilfreich, auch wenn das Zeit und Kraft kostet. Es ist ganz wichtig, dass Du nicht aufgibst. Denn wenn Du aufgibst, dann gewinnt die Inkontinenz.
Ich finde es so wunderbar, dass wir offen darüber sprechen können, weil ich dadurch richtig erlebe, wie wichtig die richtige Einstellung ist, wenn Du inkontinent bist.
Mein Standardsatz lautet: Seid lieb zueinander. Seid lieb zu Euch. Baut keinen Mist und achtet auf Euch.